Jeder Mensch hat schon mal Schmerzen irgendwelcher Art gehabt in seinem Leben. Sei es ein nur kurzer Schmerz, wenn man einen Finger eingeklemmt hat oder am heissen Backofen ankommt. Oder ein etwas länger andauernder Schmerz, zum Beispiel nach einem Unfall. Und dann gibt es auch Menschen, die über sehr lange Zeit Schmerzen haben.
Wir sehen schon: Es gibt verschieden Arten von Schmerzen. Und genauso gibt es auch verschiedene Arten und auch Möglichkeiten, mit Schmerz umzugehen. In der Therapie ist Schmerz ein täglicher Begleiter und daher möchte ich hier mal etwas näher auf das Thema Schmerz und den Umgang damit eingehen. Dabei unterscheiden wir akuten und chronischen Schmerz, schauen uns an, was ein Schmerzgedächtnis ist und welche Strategien es gibt um besonders mit chronischem Schmerz umzugehen.
Akuter Schmerz
Den akuten Schmerz kennt sicher jeder, denn er tritt z.B. auf, wenn wir gestürzt sind oder auch wenn wir eine Halsentzündung haben. Er tritt auf bei einer inneren oder äusseren Schädigung unseres Körpers, hat also einen klaren Schmerzauslöser. Damit unser Gehirn den genauen Schmerzort bestimmen kann, und auch reagieren kann, hat es eine Art Schmerzzentrum ausgebildet. Wenn wir also die heisse Herdplatte berühren, wird ein Schmerzsignal von der Hand in denjenigen Teil des Schmerzzentrums geleitet, der für die Hand zuständig ist. Zusammen mit anderen Gehirnregionen löst das Schmerzzentrum dann das Schmerzgefühl und auch das Zurückziehen der Hand aus.
Auch wenn wir uns manchmal wünschen, dass wir keinen Schmerz spüren würden:
Dies wäre sehr ungünstig.
Denn ohne Schmerzwahrnehmung würden wir z.B. mit einem gebrochenen Bein einfach weiterlaufen, oder würden unsere Hand nicht von der Herdplatte ziehen und könnten uns dabei noch grössere Schäden zufügen.
Der Schmerz hat also eine klare Warn- und Schutzfunktion und ist somit sehr wichtig für uns. Meist reagieren wir auf akuten Schmerz auch intuitiv richtig. Wir schonen zum Beispiel den verletzten Bereich ein wenig, damit er wieder heilen kann. Das gestürzte Kind nehmen wir in den Arm und geben ihm die Zuversicht, dass alles wieder gut wird. Wir streichen oder blasen auf die Prellung, damit der Schmerz abnimmt ( da das Hirn dann mit anderen Reizen beschäftigt wird). Und bei Halsschmerzen trinken wir einen Erkältungstee.
Bei einer grösseren Verletzung oder Erkrankung kann der Schmerz natürlich auch länger anhalten, er hat aber immer noch eine gewisse Warnfunktion, damit wir dem Körper eben Zeit zum heilen geben. Hier wird es nun aber wichtig, dass wir den Schmerz auch nicht überbewerten.
Was ist damit gemeint?: Wenn du z.B. das Bein gebrochen hattest und nun wieder anfangen darfst zu belasten und zu laufen, dann schmerzt das Bein sicher ab und zu. Das bedeutet aber nicht, dass gerade wieder etwas kaputt geht in deinem Bein. Es bedeutet lediglich, dass dich dein Gehirn daran erinnert, dass da vor kurzem ein Schaden entstanden ist und du einfach ein bisschen aufpassen sollst. Das Schmerzsignal kommt daher sinnvollerweise auch nicht erst bei der Belastung, die eine erneute Verletzung auslösen würde, sondern schon vorher.
Wir haben da also eine Art Pufferzone eingebaut, die uns erlaubt, die Belastbarkeitsgrenze immer mehr nach oben zu verschieben ohne gleich Schaden zu nehmen. Wir können also auch da zuversichtlich bleiben und den Schmerz als Freund betrachten. Angst vor dem Schmerz ist hingegen eher ungünstig, wie wir im folgenden beim chronischen Schmerz sehen werden. Je zuversichtlicher und entspannter wir bleiben bei Schmerzen, desto weniger wahrscheinlich ist auch eine Chronifizierung des Schmerzes.
Chronischer Schmerz
Wenn Schmerzen an mindestens 15 Tagen im Monat über 3 Monate hinweg auftreten, spricht man von chronischen Schmerzen. Solche Schmerzen können von schwerwiegenden Erkrankungen, z.B. Rheuma, Tumor, entzündliche Darmerkrankungen etc. hervorgerufen werden. Es gibt aber auch Fälle, wo eine schwerwiegende Erkrankung ausgeschlossen werden kann und trotzdem sind die Schmerzen immer wieder da. Hier spricht man von einer Schmerzerkrankung oder Schmerzstörung.
Man weiss heute, dass Menschen mit chronischen Schmerzen mehr gefährdet sind eine psychische Störung wie Ängste oder Depressionen zu entwickeln. Man weiss aber auch dass psycho-soziale Faktoren die Entwicklung einer Schmerzstörung begünstigen können.
Chronischer Schmerz ist also ein komplexeres Geschehen als akuter Schmerz und daher schauen wir ihn hier etwas genauer an, auch weil er sich aus einem akuten Schmerz entwickeln kann.
Schmerzwahrnehmung ist immer ein komplexer Vorgang im Gehirn. Man kann also sagen, dass Schmerz im Gehirn entsteht. Bei einem akuten Schmerz werden die Schmerzreize vom Schmerzort im Körper in den Thalamus gesendet. Hier wird gefiltert, welche Reize weitergeleitet werden und somit erst in unser Bewusstsein gelangen und wahrgenommen werden. Bei der Filterung spielt der präfrontale Cortex eine Rolle, der meldet, welche Reize gerade von Interesse sein können, wo also die Aufmerksamkeit gerade ist (Höre ich beim Konzert weiter der Band zu oder registriere ich, dass mir jemand auf den Fuss gestanden ist).
Der Thalamus steht auch in Verbindung mit der Amygdala, der Region für die Emotionen. Der emotionale Zustand hat Auswirkungen auf die Intensität der Schmerzweiterleitung. (Bleibe ich ruhig wenn mein Kind hingefallen ist und tröste es, wird der Schmerz wahrscheinlich weniger schlimm eingestuft, als wenn ich in Panik gerate und das Kind so unsicher wird).
Bei chronischem Schmerz kann es nun sein, dass sich die Filterung im Thalamus verändert. Der präfrontale Cortex lenkt die Aufmerksamkeit vermehrt auf mögliche schmerzauslösende Situationen. In der Amygdala können starke Emotionen oder belastende Situationen dazu führen, dass die Schmerzweiterleitung im Thalamus verstärkt wird. Manchmal werden dann auch normale Bewegungsreize als Schmerz weitergeleitet und wahrgenommen. Als Resultat werden mehr Reize weitergeleitet (bzw. weniger ausgefiltert) und wahrgenommen: Wir haben mehr und häufiger Schmerzen, weil der Thalamus sensibler auf Schmerzreize reagiert. Hinzu kommt dann noch, dass das Gehirn jene Bahnen, die oft benutzt werden ausbaut. D.h. aus einer Nebenstrasse wird mit der Zeit eine Autobahn und die Reize kommen sehr einfach durch.
Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Schmerzgedächtnis und von Schmerzlernen. Das Gehirn lernt nämlich oft unaufgefordert oder unbewusst. Und leider nicht nur die positiven Dinge.
Vielleicht kennst du das: Du findest ein Lied total schrecklich, es läuft dir aber den ganzen Tag als Ohrwurm nach.
Warum ist es in deinen Kopf gekommen?
Lernen hängt viel mit dem Gefühl zusammen. Wie wir oben gesehen haben, spielt die Amygdala, also das Emotionszentrum, eine Rolle bei der Filterung, was wichtig eingestuft wird oder eben nicht. Und das funktioniert ebenso über negative Emotionen wie auch über positive. Und so können wir eben auch Schmerz lernen, vor allem wenn viele oft negative Emotionen damit verknüpft werden.
Die Verknüpfung mit Emotionen kann auch dazu führen, dass sich der Schmerz sozusagen verselbständigt. Wenn du zum Beispiel Kopfschmerzen hast und jemand ärgert dich auch noch, dann kann sich dein Gehirn diese Situation (Kopfschmerz und Ärger) besonders gut merken. Nun kann es sein, dass ein ähnlicher Ärger wieder auftritt, dein Hirn erinnert sich an die Situation und meldet auch gleich Kopfschmerzen dazu. So lassen sich Schmerzen erklären, die scheinbar keinen körperlichen Grund haben. Man spricht hier von einer Schmerzerkrankung.
3 Denkfallen
Michael Dobe und Boris Zernikow beschreiben in ihrem Buch «rote Karte für den Schmerz» 3 Denkfallen, in die man bei chronischen Schmerzen tappen kann:
- Denkfalle: «Der Schmerz ist psychisch bedingt»
- Denkfalle: « Der Schmerz ist organisch bedingt»
- Denkfalle «Der Schmerz muss weg – für immer»
Diese Denkfallen sind verlockend, da sie eine einfache Erklärung und ein klares Ziel anbieten. Langfristig verschlechtern sie aber oft die Erkrankung. Schauen wir die Denkfallen genauer an:
1. Denkfalle: «Der Schmerz ist psychisch bedingt»
Der Ablauf dieser Denkfalle ist eigentlich immer derselbe. Die üblichen sonst hilfreichen Strategien wie Tee, Wärmepack, Ruhe etc. haben nicht langfristig gefruchtet und man ist meist schon zum wiederholten Mal beim Arzt gewesen und es wurden auch schon einige Untersuchungen gemacht. Manchmal gibt es zwar Befunde, die aber das Ausmass der Beschwerden nicht völlig erklären können. Es macht sich Hilflosigkeit breit, sowohl bei den Betroffenen wie oft auch bei den Ärzten und Therapeuten. Daher wird den Betroffenen oft nahegelegt, dass die Schmerzen wohl «psychische» oder «psychosomatische» Ursachen hätten.
Dies kann einerseits zu einer Abwehrhaltung führen, da psychische Probleme oft immer noch als «Katastrophe» gesehen werden. Sie zeugen angeblich davon versagt zu haben, oder man eben nicht ganz richtig im Kopf ist, oder noch schlimmer kann es zu Schuldgefühlen führen, da man anscheinend einfach nicht «normal» ist. Falls man aufgeschlossen genug ist, den psychologischen Weg zu gehen, ist dies oft auch nicht das Heilmittel.
Wie eine Befragung in Deutschland zeigte, haben Psychologen oft wenig Erfahrung mit chronischen Schmerzen. Es werden dann zwar psychologische Probleme angeschaut, die Einfluss auf die Schmerzen haben könnten. Es werden aber oft keine Strategien vermittelt, wie mit der Hilflosigkeit umgegangen werden kann oder Strategien die tatsächlich Schmerzabbauend wirken. Zudem werden bei diesem Weg dann manchmal doch wichtige körperliche Befunde verpasst.
2. Denkfalle: «Der Schmerz ist organisch bedingt»
Anders als Denkfalle 1 ist diese gefährlicher für das Wohlergehen der erkrankten Person. Vorherrschend ist hier oft ein tiefes Misstrauen gegenüber diesem «Psychozeug». Es werden lieber noch genauere Untersuchungen gemacht und noch mehr Spezialisten aufgesucht. «Da muss etwas sein, sonst hätte ich ja keine Schmerzen». Nun ist es aber so, dass die Medizin keine exakte Wissenschaft ist und daher muss auch offen kommuniziert werden, dass es «Zufallstreffer» geben kann, bzw. abweichende Werte gefunden werden, die aber nicht unbedingt mit den Schmerzen zusammenhängen müssen.
Führt man mit 100 gesunden Personen Tests durch, sinkt die Anzahl «gesunder» Personen stetig mit zunehmender Anzahl Tests, bis am Ende kaum noch jemand «gesund» ist. Warum ist das so? Nehmen wir zum Beispiel Blutwerte: Normal/Gesund heisst lediglich dass 95% aller gesunder Menschen einen Wert in einem bestimmten Bereich haben. Daraus folgt aber nicht, dass die übrigen 5% alle krank sind. Und dies ist auch ein Grund dafür, dass Ärzte Tests veranlassen sollten, um Vermutungen zu bestätigen und nicht um einfach wild drauflos zu suchen. Gefährlicher ist diese Denkfalle, da durch z.T. invasive Untersuchungen, weitere Schmerzen ausgelöst werden können und der Chronifizierung nicht entgegengewirkt wird.
3. Denkfalle: «Der Schmerz muss weg – für immer!»
Diese Falle ist quasi die verschärfte Version von Denkfalle 2. Auch hier wird der Schmerz rein organisch betrachtet, aber zusätzlich als Feind wahrgenommen, der ausgelöscht werden muss. Dabei ist nicht immer klar ob die erkrankte Person (oder deren Familie) die Ärzte dazu bringen, nicht die nötige Vorsicht walten zu lassen oder ob es die Ärzte selbst sind. Klar ist, dass es für alle Beteiligten nicht einfach ist, die Hilflosigkeit auszuhalten, wenn nicht schnell etwas gegen die Schmerzen unternommen werden kann. Drastische Massnahmen sollten aber immer gut überlegt sein, weil sie wie gesagt auch Nebenwirkungen oder noch mehr Schmerzen verursachen können.
Allen 3 Denkfallen ist gemeinsam, dass die beteiligten Personen sich irgendwann nicht mehr zu helfen wissen. Am erfolgversprechendsten ist es, alle Möglichkeiten zuzulassen. Dies führt uns zur Bio-psycho-sozialen Betrachtungsweise von Schmerzen: Der Schmerz ist organisch (Bio) bedingt, da er immer irgendwo seinen Anfang nimmt (da waren mal Kopfschmerzen oder ein Umknicken beim laufen oder eine Ziehen im Rücken beim Heben). Er ist aber auch psychisch (Psycho) bedingt, da das Schmerzerleben stark von der Aufmerksamkeit und der Grundstimmung abhängt. Und es spielt auch eine Rolle wie das Umfeld (sozial) darauf reagiert.
Umgang mit Schmerz – Schmerzbewältigungsstrategien
Nun stellt sich die Frage wie man angesichts all dieser Erkenntnisse am besten mit Schmerz umgeht.
Bei akutem Schmerz macht man sich da meistens ja nicht so Gedanken und man macht auch vieles intuitiv richtig, wie oben schon erwähnt. Auch bei akuten Schmerzen ist es aber nützlich im Kopf zu behalten, dass der Schmerz bio-psycho-sozial ist. Auch hier kann es einen gewissen Unterschied im Schmerzempfinden machen, ob wir uns Sorgen machen oder uns vielleicht an frühere Erkrankungen erinnern oder ob wir voller Zuversicht sind. Und es hat auch einen Einfluss, wie sich das Umfeld verhält, wobei die Wirkung natürlich bei jedem etwas anders sein kann, je nach Persönlichkeitsstruktur
Wenn die Schmerzen chronisch werden/sind macht es Sinn etwas anders an die Sache heranzugehen. Hier ein paar Möglichkeiten:
Denkfallen entschärfen
Da hilft zum Beispiel das anlegen einer Liste mit 3 Spalten für die 3 Komponenten des Schmerzerlebens:
Biologisch: Welche Befunde liegen vor und was bedeuten sie. Welche akuten Erkrankungen gab es. In welchem Mass sind Schmerzsensibilisierung und Schmerzgedächtnis ausgeprägt. Hier ist auch festzuhalten, dass es wichtig ist, körperliche Abklärungen zu machen. Wird aber nichts eindeutiges gefunden, macht es nicht Sinn immer wieder zum nächsten Arzt zu gehen. Wenn schlimme Erkrankungen ausgeschlossen werden konnte, muss man sich irgendwann damit zufrieden geben.
Psychologisch: Gibt es Stressfaktoren wie Termindruck, belastende Lebenssituationen, oder was sonst noch so dazu einfällt.
Sozial: Welche Aufmerksamkeit erhält der Schmerz, wie oft wird darüber gesprochen. Werden unangenehme Tätigkeiten vermieden. Beherrscht er Bereiche des Alltags.
Eine solche Liste kann übrigens auch von nahestehenden Familienangehörigen erstellt werden. Dies kann helfen ins Gespräch zu kommen und eventuell erkennt man auch, dass man in unterschiedlichen Denkfallen festsitzt.
Diese Liste gibt uns Werkzeuge an die Hand, was gegen die Hilflosigkeit hilft, die oft irgendwann bei chronischen Schmerzen eintritt. Klar ist ja meistens: Der Schmerz kann nicht einfach weggefegt werden. Aber vielleicht lässt sich auf anderer Ebene etwas tun: z.B. mit Stresssituationen besser umgehen. Es kann vielleicht sogar helfen, die Liste noch mit einer Spalte zu ergänzen: Dort schreibt man alle Ideen herein, die beim jeweiligen Punkt helfen könnten. (z.B. Biologisch: Ein Wärmepflaster aufkleben, psychisch: Konflikte schneller ansprechen, Sozial: Trotz Schmerzen Kontakte pflegen).
Unangenehmes trotzdem wieder tun, Angenehmes auch
Wie wir weiter oben gesehen haben, kann es vorkommen, dass unser Gehirn Schmerzen mit anderen Dingen, die wir gleichzeitig erleben verknüpft, seien das Tätigkeiten aber auch Gefühle oder bestimmte Situationen. Und dies führt zum beschriebenen Teufelskreis, dass diese verknüpften Dinge ihrerseits den Schmerz auslösen können. Natürlich ist es nicht immer einfach zu erkennen, ob z.B. eine Tätigkeit aus mechanischen Gründen Schmerz auslöst, oder ob eine ungünstige Verknüpfung reinspielt. Wenn aber keine klaren Befunde vorliegen (wie z.B. ein schlecht verheilter Bruch), lohnt es sich, sich an das bio-psycho-soziale Modell zu erinnern.
Noch ungünstiger kann es sich auswirken, wenn wegen dem Schmerz Tätigkeiten nicht mehr gemacht werden, die man sowieso nicht gern macht. Der Schmerz bekommt so zusätzlich eine Funktion, die oft mit «Krankheitsgewinn» umschrieben wird. Aus diesen Gründen macht es Sinn, den Alltag möglichst so zu verbringen, wie man es ohne Schmerz tun würde, also trotzdem zur Arbeit oder in die Schule zu gehen oder den Haushalt zu machen. Vielleicht muss dafür halt auch ehrlich hingeschaut werden: Gibt es Dinge die ich einfach nicht tun will und wie kann ich das verändern? Oder gibt es ungute Gefühle die störend wirken, oder belastende Lebenssituationen? Da kann es sich wohl manchmal auch lohnen, sich professionelle Hilfe zu suchen. Um den Alltag trotz Schmerzen zu bewältigen gibt es auch hilfreiche Strategien zu denen wir noch kommen.
Um den Teufelskreis von chronischen Schmerzen zu durchbrechen ist es also sehr wichtig möglichst nichts zu vermeiden. Das heisst aber auch nicht, dass man in Aktivismus verfallen soll. Wichtig ist es sowohl Aktivitäten wie auch Ruhe und Pausen vom Schmerz zu entkoppeln. Gerade bei chronischen Schmerzen bekommt man oft den Rat, sich doch mal hinzulegen. Wenn wir uns aber immer nur Pausen gönnen wenn der Schmerz zu stark wird, gibt das auch ungünstige Verknüpfungen im Gehirn. Am besten strukturiert man daher den Alltag so, dass sowieso Pausen vorkommen oder Dinge die Entspannen oder einfach Spass machen. Dies soll aber unabhängig vom Schmerz sein. Also z.B. nach einer Stunde Hausarbeit gibt es einfach Pause, egal ob da Schmerz ist oder nicht. (und auch nicht vorher, egal ob Schmerz oder nicht). Und manchmal macht es auch Sinn, das Umfeld mit einzubeziehen: Warum salbt mir mein Partner den Rücken nur wenn ich Schmerzen habe? Könnte es das auch sonst mal geben? Oder warum darf ich mich nur zurückziehen wenn ich Kopfschmerzen habe? Ist das auch sonst möglich?
Weniger Aktivität/Mehr Aktivität
Wenn wir schon beim Thema «Alltag aufrechterhalten» sind, lohnt es sich sicher auch mal, dieses Alltagsprogramm unter die Lupe zu nehmen. Manchmal darf man da auch mal etwas überdenken: Wie viele fixe Termine gibt es im Alltag und wie viele Zeiten um einfach zu sein? Wir brauchen einen gesunden Wechsel von Aktivität und Entspannung. Das heisst wir brauchen Zeiten in denen unser Sympathikus aktiv ist, wo wir hellwach werden, Tatendrang haben und etwas bewirken, und wir brauchen Zeiten in denen der Parasympathikus aktiv ist, wo wir ruhig werden, Verdauen, Regenerieren und auch Schlafen.
Nun ist aber nicht jeder Mensch gleich gestrickt. Was beim einen beruhigt, nervt den anderen schon. Wenn sich der eine langweilt ist es für den anderen gerade richtig. Und was zählt eigentlich als Aktivität und was als Entspannung?
Immerhin gibt es einige Punkte, die für alle wichtig sind:
- Die Woche sollte nicht von A-Z völlig durchgetaktet sein. Ab und zu Zeiten zu haben, in denen man spontan entscheiden kann was jetzt gerade Lust macht oder was einem gut tut ist für jeden wichtig.
-Dazu gehört natürlich die Fähigkeit zu spüren, was einem denn gerade guttut. Und um sich zu spüren brauchen die meisten Menschen Zeiten, wo nichts von aussen auf einen eindringt, wo man eben mal wahrnimmt, was von innen kommt, oder was «Innen» vor sich geht. - Es ist hilfreich zu wissen, was einem guttut. Dazu kommen wir gleich…
Um nochmal auf das Sympathikus/Parasympathikus-System zurückzukommen. Diese Systeme werden auch nicht bei jedem Menschen gleich aktiviert. Man kann nicht einfach sagen «wenn du arbeitest oder Sport machst, ist dies der Sympathikus und wenn du auf dem Sofa sitzt oder in der Wellness Oase ist dies der Parasympathikus». Es kommt auf deine Persönlichkeitsstruktur an, was dich eher stresst/antreibt (Sympathikusaktivierung) und was dich eher beruhigt (Parasympathikusaktivierung). Daher ist es hilfreich zu wissen, welche Bereiche für dich wichtig sind und wie gut du dem Rechnung trägst.
Gunter Frank und Maja Storch schlagen in ihrem Buch «Die Manana-Kompetenz, wer Pausen macht hat mehr vom Leben» 7 Bereiche vor, die wir unter die Lupe nehmen können bezüglich der Frage «wieviel brauche ich davon (Bedürfnis), damit ich mich wohl und beruhigt fühle, und wieviel habe ich wirklich davon(Sättigung)»:
- Wärme (z.B. Warme Fussbäder, Wellness/Sauna, regelmässige warme Mahlzeiten oder Tee)
- Sport ( jeglicher Art, der Spass macht, aber auch Gartenarbeit Holzhacken etc. )
- Rückzug (z.B. in die eigenen vier Wände, kuscheliges Sofa, Massagen, Meditation)
- Aktivierbarkeit («entspannen in Aktivität» z.B. Handwerkliche Tätigkeit, Kochen/Backen, Tai Chi, Yoga)
- Geselligkeit (Hobbys mit anderen Menschen, Vereine, Partys, Familienaktivitäten)
- Intellektuell-musische Tätigkeit (Literatur, Musik, Kulturelle Aktivitäten, Philosophieren, Fantasiereisen,
- Spiritualität (Achtsamkeitsübungen, regelmässiges Gebet oder Glaubensrituale, Pilgern)
Du kannst dich für jeden der 7 Bereiche fragen, wie hoch der Stellenwert für dich ist (zB auf einer Skala 0-10), also das Bedürfnis. Danach überlegst du, ob die Sättigung auch dazu passt (müsste dann die gleiche Punktezahl auf der Skala erreichen). Wahrscheinlich zeigen sich so 2-3 Bereiche, die wirklich wichtig sind für dich. Vielleicht lassen sie sich auch kombinieren (z.B. Theaterbesuch(6) mit Gleichgesinnten (5)). In diesen Bereichen kannst du Energie tanken und deinen Akku aufladen. Es ist also wichtig, diese Ressourcen regelmässig zu nutzen.
Im Zusammenhang mit Sympathikus und Parasympathikusaktivierung ist auch der Schlaf-Wachrhythmus ein Thema. Manchmal kommt es im Zusammenhang mit Schmerzen auch zu Schlafstörungen. Auch hier kann es helfen einen klaren Rhythmus einzuhalten und am Tag möglichst aktiv zu sein ( mit Pausen natürlich) damit der Körper am Abend auch richtig müde ist und der Schlaf kommen kann. Stört Schmerz oder kreisende Gedanken das Einschlafen können auch die im folgenden beschriebenen Strategien helfen.
Strategien zur Schmerzbewältigung
Die Schmerzen malen
Manchen Menschen hilft es sehr, ihren Schmerzen Ausdruck zu verleihen. Mit Malen lässt sich das oft besser darstellen als mit reinen Worten. Es kann helfen ein klares Bild zu bekommen, wie es dir geht mit dem Schmerz. Und es kann auch helfen etwas Distanz dazu zu gewinnen. Und oft entwickeln sich die Bilder auch weiter und bringen Ideen zum besseren Umgang mit Schmerz. Einfach ausprobieren ist hier immer die Devise.
Gedanken «umfärben»
Wenn unser Leben eine Bühne wäre, dann sind die Gedanken wie die Scheinwerfer. Sie werfen Licht auf einen bestimmten Ausschnitt der Bühne aber selten auf die ganze Bühne. Und wir selber sind es, die die Scheinwerfer steuern. Dort wo das Licht hinfällt, sehen wir. Da wo der Focus unserer Gedanken hingeht, dort leben wir. Es ist also wichtig zu verstehen, dass du selber der Gedankenboss bist. Du kannst entscheiden welche Gedanken du haben willst und welche du stoppst und durch andere ersetzt. In Bezug auf chronischen Schmerz spricht man auch von nicht hilfreichen schwarzen Gedanken und hilfreichen bunten Gedanken. Willst du also einen schwarzen Gedanken nicht mehr denken, dann ersetze ihn durch einen bunten, färbe den Gedanken also einfach um.
Hier ein paar Bespiele:
Schwarzer Gedanke:
Es wird eh nie besser
Mir kann sowieso keiner helfen
Andere haben keine Schmerzen
Keiner glaubt mir meine Schmerzen
Wegen der Schmerzen geht gar nichts
Ich hasse meinen Körper
Die Schmerzen sind an allem Schuld
…..
Bunter Gedanke:
Es wird schon wieder besser
Am besten ich helfe mir selbst
Dafür haben die anderen andere Probleme
Verzeih den anderen, es ist ja auch für sie schwer
Ich tue das Beste was ich kann
Ich liebe meine Freundlichkeit
Ich kann das ändern
……
Es lohnt sich auf jeden Fall, sich bewusst zu werden, welche Gedanken immer wieder in unserem Kopf kreisen, vor allem wenn es gerade schlecht geht. Hilfreich kann dann auch sein, bunte Gedanken aufzuschreiben, die man dann hervorholen kann, wenn es nötig ist.
Ablenkungstechniken
Manchmal fällt es schwer bunte Gedanken zu finden. Dann hilft vielleicht auch Ablenkung. Gerade bei Kindern funktionieren diese Techniken sehr gut, weil sie etwas spielerisches haben. Und sie können auch gemeinsam mit jemandem gemacht werden. Ziel ist es auch hier, den Focus auf andere Dinge als den Schmerz zu richten. Und so funktioniert es:
Das Ablenkungs-ABC: Nimm ein Thema. ZB Tiere, Länder, Songs, Automarken, Schimpfwörter… und denke dann alles alphabetisch durch was dir zu diesem Thema einfällt. Also Bei Tieren: A-Affe, B-Bär, C–Clownfisch …..
54321-«ich sehe – höre – spüre» -Strategie:
Hier geht es darum, sich gezielt auf verschiedene Dinge zu konzentrieren und verschiedene Sinne anzusprechen. Zuerst konzentrierst du dich auf fünf Dinge die du gerade sehen kannst (nacheinander): ich sehe meine Zimmerpflanze (nimm wahr dass du sie richtig siehst), ich sehe ein Kissen…… Danach konzentrierst du dich darauf was du hörst: Ich höre das Ticken der Uhr, ich höre den Rasenmäher vom Nachbar…. Dann gehst du weiter zum Spüren: Ich spüre, dass meine Hände ganz warm sind, ich spüre mein Herz schlagen, …. In der ersten Runde nimmst du in jedem Bereich 5 Dinge wahr, dann 4 Dinge, dann 3, dann 2 und am Schluss nur noch 1. Wenn dir das zu lange dauert kannst du auch bei 3 anfangen.
Wenn ein Wahrnehmungsbereich schlecht funktioniert kannst du den auch auslassen. Wichtig ist einfach, dass man sich mit seiner Aufmerksamkeit auf Dinge konzentriert, die jetzt gerade sind und so ungünstige Gedankengänge oder Schmerzwahrnehmungen unterbricht.
Schmerztagebuch
Um aus der Hilflosigkeit herauszukommen, die manchmal eintritt, kann auch ein Schmerztagebuch helfen. So wird ersichtlicher, was guttut und was weniger. Vielleicht lassen sich so hilfreiche Strategien finden, oder es lassen sich bunte Gedanken finden.
Im Schmerztagebuch sollte über einen gewissen Zeitraum (z.B. 1 Monat) folgendes aufgeschrieben werden:
Hatte ich heute Schmerzen? Wie stark auf einer Skala 0-10. Gab es heute ein besonderes Ereignis? Wenn ja was? Was habe ich gegen die Schmerzen getan? Hat es geholfen?
Progressive Muskelentspannung nach Jacobson
Die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson ist eine wissenschaftlich sehr gut untersuchte Methode der Schmerztherapie. Ihr positiver Einfluss auf Schmerzen, Ängste, stressbezogene Anspannung und Einschlafprobleme ist gut belegt. Zudem ist die Methode recht einfach erlernbar und mit etwas Übung überall durchführbar.
Sie funktioniert so, dass unterschiedliche Muskelpartien für kurze Zeit gezielt angespannt werden und dann wieder ganz locker gelassen werden. (Im Internet finden sich viele Anleitungen dafür, es gibt Kurse oder du fragst deine Physiotherapeutin). Anfangs ist es wichtig täglich zu üben. So wird die Körperwahrnehmung und das gezielte loslassen geübt.
Tiefatmung
Auch die Atmung bietet eine gute Möglichkeit sich zu entspannen und die Aufmerksamkeit gezielt zu fokussieren:
Atme langsam durch die Nase ein und aus. Beobachte wohin deine Atmung geht. In die Brust? In die seitlichen Rippen? In den Bauch? In den Rücken? Versuche dann die Atembewegung etwas zu vergrössern. Kann sich dein Brustkorb in alle Richtungen ausdehnen? Bewegt sich auch dein Bauch? Atme dabei immer ruhig und langsam und nimm einfach wahr was passiert. Schon 5 min bewusstes Atmen kann sehr entspannend wirken und dein Körpergefühl verändern.
- Das Selbstwertgefühl stärken
Dieses ist eng verknüpft mit mangelndem Selbstvertrauen, Unsicherheit und Angst. Und dies dann auch mit dem Schmerz. Arbeite also daran, dich gut zu finden wie du bist. Lobe dich innerlich täglich für etwas, was du gut machst und baue so positive Gefühle auf. Auch wenn etwas nicht so klappt wie du es möchtest, lobe dich dafür dass du es versucht hast.
Ein Brief von meinem Ich in 2 Jahren
Wenn man einige Erfahrungen in der Schmerzbewältigung gesammelt hat, und sich mal viel Zeit nehmen will, ist ein Brief an sich selbst eine schöne Möglichkeit , sich der momentanen Schwierigkeiten bewusst zu sein, sich aber auch die eigenen Fähigkeiten und Lösungen zu vergegenwärtigen. Man stellt sich dabei vor wie man in 2 oder 5 Jahren einen Brief an sein jüngeres Ich schreibt. Im Brief beschreibt man, wie es einem gelungen ist, die Schwierigkeiten zu lösen und welche Ziele man erreicht hat und was jetzt alles so toll im Leben ist. Dies hilft eine Lösungsorientierte Perspektive einzunehmen.
Fazit
Viele Strategien, die hier vorgestellt wurden, beziehen sich auf den Umgang mit chronischen Schmerzen. In angepasster Form lassen sie sich aber auch auf viele andere Schwierigkeiten im Leben anwenden, die wohl alle mal in der einen oder anderen Form erleben. Ziel muss es immer sein, aus der Hilflosigkeit herauszufinden und das Leben wieder in die eigene Hand zu bekommen. Oder wie es ein Schmerzpatient schön formulierte: «Erst lebe ich wieder mein Leben, dann geht der Schmerz aus meinem Leben». Dies gilt auch für andere Herausforderungen, wie z.B. die Bewältigung von Stress oder die Verbesserung der körperlichen Gesundheit durch Physiotherapie.
Also finde heraus was dir im Leben wichtig ist und lebe es!